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Seit der Einführung von OpenAIs chatGPT warten Designer:innen und Unternehmen gespannt darauf, wie sich die neue Technologie auf ihre Arbeit auswirken wird. Die Reaktionen auf diesen technischen Meilenstein könnten nicht unterschiedlicher ausfallen, von Hysterie bis hin zu Selbstgefälligkeit scheint alles dabei zu sein. Eins ist sicher: Die beeindruckenden Ergebnisse, die künstliche Intelligenz (KI) erzeugt, verunsichern ganze Branchen.
Bei DAYONE sind wir der Meinung, dass radikale und schnelle technologische Veränderungen nicht zwangsläufig eine Katastrophe bedeuten müssen. Ein Paradebeispiel dafür ist die Fotobranche.
Vor ca 15 bis 20 Jahren revolutionierte der Durchbruch der Digitalfotografie die Art und Weise, wie wir Bilder aufnehmen. Der Prozess wurde einfacher, zugänglicher und schneller. Es war plötzlich leicht auch ohne große Fotografie-Skills gute Ergebnisse zu erzielen. Die immer besser werdende Smartphone-Kameras machten den Fortschritt wenige Jahre später noch handlicher.
Diese technologischen Fortschritte kamen zusammen mit der Entstehung von leistungsfähigen Smartphones, Social Media und schnellerem mobilen Internet und legten so den Grundstein für völlig neue Wirtschaftszweige wie die Creator- und Influencer-Branche. Eine Entwicklung, die so mit Blick einzig auf die Fotobranche nicht vorhersehbar war.
Über die potenziellen Auswirkungen von KI auf den kreativen Prozess wird viel diskutiert. Einige Branchen empfinden die neue Technologie als Bedrohung. Das New Yorker Modelabel Collina Strada ging sogar so weit, künstliche Intelligenz für das Design ihrer neuesten Kollektion zu verwenden, um auf damit auf die sehr reale Kollision zwischen Technologie und kreativer Praxis hinzuweisen.
Unternehmen wie Notion, Miro, Adobe und Microsoft setzen heute generative KI-Modelle ein, um ihre Produkte und Kundenerlebnisse zu verbessern. Wie sich KI aber nutzen lässt, um den Customer-Experience-Design-Prozess zu unterstützen, ist nicht allen Marken klar.
In diesem Artikel wollen wir die vier Phasen des Customer-Experience-Design-Prozesses, die Möglichkeiten und Grenzen aktueller KI-Technologien untersuchen und herausfinden, ob KI schon für die komplette Entwicklung eines digitalen Produkts eingesetzt werden kann.
In diesem Artikel:
In der Discovery-Phase geht es darum, den Kontext und die Herausforderungen eines Produkts oder Service zu erforschen und zu verstehen. KI hat das Potenzial, den Forschungsprozess zu transformieren, indem Aufgaben wie die Erstellung von Personas und die Erfassung von kontextspezifischem Wissen beschleunigt werden. In einem idealen Szenario dauert das, was normalerweise 1 bis 2 Wochen in Anspruch nimmt, nur noch einen Bruchteil der Zeit. Durch diese erhöhte Geschwindigkeit könnten Unternehmen neue Märkte schneller erkunden, Nutzerbedürfnisse und Service-Anforderungen schneller erkennen und verschiedene Optionen rasch bewerten. So können Unternehmen unerforschtes Terrain effizienter durchqueren.
In der Define-Phase wird zunächst die Herausforderung in Form einer Problemstellung klar umrissen. Dabei werden Elemente, die im Rahmen der jeweiligen Situation sowohl technisch und organisatorisch machbar (Feasibility), als auch wirtschaftlich tragbar (Viability) und den Bedürfnissen der Zielgruppe entsprechend (Desirability) sind, identifiziert. Bei einem idealen Produkt sollten sich diese drei Faktoren in hohem Maße überschneiden. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz können wir versuchen, diese Informationen zusammenzufassen und eine erste Problemstellung zu formulieren. Von KI generierte Optionen, können weiterentwickelt und verfeinert werden, so dass sie die spezifischen Kriterien der Kundenherausforderung genau erfassen.
Sobald die Herausforderung klar definiert ist und ein Aktionsplan erstellt wurde, können wir in der Entwicklungsphase von der Planung zur Umsetzung übergehen. In dieser Develop-Phase nimmt die angestrebte Lösung konkrete Formen an. Konzepte, Ideen und Erkenntnisse aus den früheren Phasen werden in konkrete Entwürfe und Prototypen umgesetzt. Hier treffen Innovation und Kreativität aufeinander, um eine greifbare Darstellung der geplanten Benutzererfahrung zu schaffen. KI-Tools können eingesetzt werden, um schnell Optionen und Prototypen zu entwickeln, die dann im Designprozess weiter ausgearbeitet werden können.
In der Deliver-Phase entsteht schließlich ein greifbares Produkt, das in Form eines Prototypen mit potentiellen Nutzer:innen getestet werden und bis zur Marktreife weiterentwickelt werden kann.
Vor diesem Hintergrund können wir verstehen, wie KI-Tools uns bei der Entwicklung exzellenter Customer Experience unterstützen können.
KI kann uns dabei helfen, schnell und einfach eine Vielzahl Ideen zu generieren. ChatGPT, verschiedene Figma-Plugins und ähnliche Tools erzeugen oft auf den ersten Blick beeindruckende Resultate, denen aber der Feinschliff und Auge fürs Detail fehlt. Die Ergebnisse sind unserer Erfahrung nach oft eher generisch.Das Potenzial von KI erstreckt sich derzeit also noch nicht auf die Erstellung finaler Designs. Viel mehr können generierte Ideen ein effektives Sprungbrett sein für initiale Designexplorationen. So können Designer:innen mit KI-Tools das sprichwörtliche weiße Blatt Papier überwinden und direkt mit Ideen und Artefakten in ein Projekt starten. Im Kontext von Customer Experience Design können das User Journeys, Personas oder erste Wireframes sein.
Diese Funktionen sind bereits heute verfügbar und werden ständig weiterentwickelt, aber wir gehen davon aus, dass die Qualität der so generierten Ergebnisse noch deutlich besser werden kann, wenn generative KI-Modelle in der Lage sind auf anwendungsspezifisches Fachwissen zurückzugreifen.
Denn einige Tools & Plugins generieren schon heute sehr nützliche Erkenntnisse auf Basis komplexer Prompts. Deren Tiefgang ist aber von Natur aus begrenzt. Daher ist umfassende Nutzer-Forschung mit echten Menschen nach wie vor entscheidend für den Erfolg eines Projekts: Bestimmte Insights sind außerhalb des Bereichs des expliziten Wissens. Solche Erkenntnisse ergeben sich oft aus der direkten Interaktion mit den Nutzenden, der Beobachtung ihres Verhaltens und dem Verständnis ihrer unausgesprochenen Bedürfnisse.
Für uns bedeutet das, dass KI menschenzentrierte Forschungsmethoden eher ergänzt als ersetzt. Ihr Stärke liegt darin Designer:innen erste Anhaltspunkte und mögliche Perspektiven aufzuzeigen, die angereichert und verfeinert werden müssen durch ein differenziertes Verständnis der Nutzerperspektive.
KI kann insbesondere in den frühen Phasen eines Projekts außerdem ein wertvoller patenter Research-Helfer sein, der es Designer:innen und Forschenden ermöglicht, einen Überblick zu erlangen und Facetten einer Branche oder einer spezifischen Problemstellung zu verstehen. Und das mittels Chat-Interface im Zweifel schneller und effizienter als es über individuelle Perspektiven oder Quellen möglich wäre.
Diese Konversationen mit generativen KI-Modellen ersetzen zwar nicht die Gespräche eines Stakeholdern und Kollegen, erlauben uns aber initial Ideen und Perspektiven aufzudecken, die völlig alleine so vielleicht nicht gefunden hätten.
Beim initialen Desk-Researchs zu Beginn eines neuen Projekts beispielsweise, vor allem wenn man sich mit unbekannten Branchen befasst, wird KI so zu einer wichtigen Ressource. Wir stellen oft Fragen wie "Welche Schlüsselaspekte sollte ich über Branche X verstehen?" oder "Was sind die wichtigsten Herausforderungen in dieser Industrie?" Künstliche Intelligenz liefert schnell relevante Antworten und kann ein Sprungbrett für tiefergehende Untersuchungen sein.
Dabei ist es aber von entscheidender Bedeutung, die gewonnenen Erkenntnisse zu überprüfen. Nicht selten geben Chatbots selbstbewusste Antworten, für die es in den Trainingsdaten keine begründete Grundlage gibt. Das Phänomen ist mittlerweile als "Halluzinationen" bekannt. Auch wenn KI den Forschungsprozess zweifellos bereichert, sind menschliches Urteilsvermögen und Validierung notwendig, um die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der gesammelten Informationen zu gewährleisten.
Um up-to-date zu sein, sind traditionelle Quellen wie Fachbücher oder Beiträge auf renommierten Blogs natürlich der beste Ausgangspunkt.
Doch trotz aller Bemühungen so viel Zeit wie möglich zu investieren, um systematisch jedes relevante Design- oder Business-Buch zu lesen, enthaltene Methoden und Prozesse zusammenzufassen und jede neue Entwicklung im Auge zu behalten, ist das nicht immer ganz einfach. Und hier kommt die KI ins Spiel.
Mit generativen KI-Tools können wir uns im Projektalltag auf dem Laufenden halten, da die KI häufig sehr gut darin ist, Wissen zu etablierten und aufkommenden Design-Praktiken und Prinzipien zu kuratieren und aufzubereiten. Dabei wird deutlich, dass KI-Modelle Technologie besonders gut mit konkreten, expliziten Informationen umgehen kann, was es Designer:innen ermöglicht, grundlegende Konzepte und bewährte Techniken aufzufrischen oder neue Entwicklungen kennenzulernen. Das spart uns Zeit und Mühe und erleichtert den Lernprozess erheblich.
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Auf Social Media haben schon einige Mitglieder der Tech- und Startup-Community gezeigt, dass sie in der Lage sind eine ganze App ausschließlich mit KI-Tools zu entwickeln. Dass es in einigen Fällen möglich sein könnte, ein erfolgreiches Produkt oder eine erfolgreiche Dienstleistung mit KI zu entwickeln, wollen wir an dieser Stelle nicht abstreiten. Aus unserer Sicht bleibt aber fraglich, ob die Technik zu diesem Zeitpunkt den Feinheiten und Nuancen spezifischer Kunden- und Geschäftsherausforderungen tatsächlich gerecht werden.
Künstliche Intelligenz für komplexe Benutzerprobleme zu verwenden, passt nicht zu unser Grundidee und Überzeugung von Design. Design ist keine einmalige Lösung, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Nutzerbedürfnisse sind oft so vielfältig, dass eine spezialisierte Herangehensweise notwendig ist, um die genauen Bedürfnisse, Vorlieben und Verhaltensweisen in verschiedenen Situationen zu verstehen.
Der Prozess geht über die einfache Zusammenstellung oder Montage funktionaler Komponenten hinaus; es geht darum, Funktionalität mit Ästhetik in Einklang zu bringen, eine Verbindung mit den Menschen, die das Produkt oder den Service nutzen, herzustellen, um ihre speziellen Probleme zu lösen. Wir sagen nicht, dass KI dazu nie in der Lage sein wird, aber sie ist noch nicht so weit.
Die Verwendung von künstlicher Intelligenz spart uns Zeit, was bedeutet, dass sie auch unseren Kund:innen Geld spart. Wir freuen uns darauf, die Entwicklung der Technologie in Zukunft mitzuverfolgen - schließlich lieben wir die digitale Welt und alles, was sie zu bieten hat - und glauben, dass KI das Potential hat unsere Arbeitsweisen und Ergebnisse zu verbessern.
Trotzdem werden uns Chatbots nicht die Arbeitsplätze wegnehmen. Wir sind überzeugt, dass viele überschätzen, wieviel sich durch KI in einem Jahr verändern wird, aber wir alle unterschätzen, wie viel sich in einem Jahrzehnt verändern kann. Wir sind optimistisch, was die Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen angeht. Denn im Idealfall entstehen so neue Arbeitsplätze, Produkte oder ganze Branchen.
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Anina bereichert das DAYONE Team seit 2020. Ursprünglich als UX-Designerin für Kunden wie Volkswagen tätig, hat sie im Laufe der Zeit ihre Begeisterung für eine strategischere Perspektive entdeckt. Mittlerweile ist sie daher im Bereich Strategic Design tätig und unterstützt Projekte mit ihrem holistischen Blick auf sowohl nutzerzentrierte Bedarfe, den organisationalen Kontext, sowie die unternehmerischen Ziele. Als selbsternannte Design Innovation Advokatin ist ihr Wissenstransfer besonders wichtig. Dies spiegelt sich nicht nur in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden wieder, wo sie ihr tiefgreifendes Verständnis mit den jeweiligen Methoden und Praktiken teilt - sondern ebenfalls hier im Blog mit euch.
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