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“Dark Patterns” sind Design-Elemente für Benutzeroberflächen, die absichtlich so gestaltet sind, dass sie die Nutzenden zu einer bestimmten Aktion verleiten oder manipulieren.
Sie werden in der Regel verwendet, um Metriken zu verbessern oder Nutzerdaten zu sammeln. All diese Maßnahmen habe allerdings vorrangig unternehmerische - häufig finanziell - motivierte Beweggründe und stimmen nicht oder sehr begrenzt mit den Zielen der Nutzenden überein.
Im Kontext von Behavioural Design bleibt es nicht aus, um zumindest kurz über einen entfernten Verwandten zu sprechen: Den “Nudge”.
Auch bei Nudges geht es letztlich darum eine Verhaltensänderung bei den Nutzenden zu erwirken, um diese in gewisse Richtungen zu “stubsen”. Der wesentliche Unterschied zum Dark Pattern ist hierbei allerdings die dahinterliegende Motivation das Verhalten zu beeinflussen.
Nach Thaler, Sunstein (2020) verfolgen Nudges eine Verhaltensänderung bei den Nutzenden, ohne Ausschluss von Entscheidungsoptionen. Der Nudge selbst ist nicht durch wirtschaftliche Anreize, sondern durch das Erreichen der Nutzerziele motiviert. Dabei wird es den Nutzenden leicht gemacht, diese Nudges ohne großen Aufwand umgehen zu können, sofern dieser nicht mit ihren Zielen übereinstimmt.
Dark Patterns können i.d.R. gegenteilig eingeordnet werden. Es werden Verhaltensänderungen forciert, die aus betriebswirtschaftlichen Interesse motiviert sind. Das heißt, es geht vorrangig um den finanziellen Nutzen des Unternehmens. Dabei werden Nutzende aktiv in eine Richtung gedrängt indem Entscheidungsoptionen bewusst ausgeschlossen werden. Zudem sind Dark Patterns häufig nur mit großem Aufwand zu umgehen. Zusammenfassend werden Nutzenden in Situationen gebracht, wo die naheliegendste Entscheidung im Interesse des Unternehmens ist.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von klar abgegrenzten Dark Patterns. Deceptive.design liefert dafür einen lohnenswerten Überblick. Hier wollen wir nur kurz ein paar bekannte Vertreter anschneiden.
Die Kombination der Dark Pattern "Roach Motel" und "Forced Continuity" ist eine manipulative Taktik im Design digitaler Produkte. "Roach Motel" verleitet Benutzende dazu, eine bestimmte Aktion oder ein Abonnement zu wählen, macht es ihnen aber später schwer, sich abzumelden oder zu kündigen. Dieses Muster wird häufig bei abonnementbasierten Diensten verwendet, bei denen es Benutzern einfach gemacht wird, sich anzumelden, aber der Kündigungsprozess absichtlich komplex oder schwierig erreichbar ist.
"Forced Continuity" zielt darauf ab, Benutzende automatisch in wiederkehrende Zahlungen oder Abonnements einzuschreiben, ohne ihre ausdrückliche Zustimmung. Benutzer können sich zunächst für eine kostenlose Testversion oder einen einmaligen Kauf anmelden, aber ihre Kreditkarteninformationen werden gesammelt und verwendet, um sie ohne ihr Wissen oder klare Erlaubnis für fortlaufende Dienste zu belasten.
Die Kombination dieser beiden dunklen Muster verstärkt die manipulativen Auswirkungen auf Benutzende. Insgesamt nutzen diese beiden Dark Pattern die Wünsche der Benutzer nach Bequemlichkeit aus und missbrauchen ihr Vertrauen. Dadurch finden Sie sich in einer Situation wieder, wo Sie vor der Herausforderung stehen, sich von der fortlaufenden finanziellen Verpflichtung zu lösen, jedoch keinen einfachen Weg dazu vor sich sehen.
Confirm Shaming ist ein Dark Pattern, das Benutzende manipuliert, indem es sie dazu bringt, sich schuldig oder beschämt zu fühlen, wenn sie eine bestimmte Aktion nicht ausführen. Es wird häufig verwendet, um Sie dazu zu drängen, eine Entscheidung zu treffen oder einen Service zu abonnieren, indem die alternative Option moralisch oder sozial unerwünscht dargestellt wird. Diese manipulative Taktik nutzt die Emotionen der Benutzenden aus und kann dazu führen, dass sie Entscheidungen treffen, die sie sonst nicht getroffen hätten. Confirm Shaming ist eine unethische Designentscheidung, die die Ziele des Unternehmens über die Interessen und das Wohl der Nutzenden stellt.
Eine der Key-Metriken von Netflix ist die „Zeit, die ein/e Nutzer:in streamt“ und damit verbunden ist eine Erhöhung dieser auch ein ausgesprochenes Ziel des Unternehmens. Was für das Unternehmen eindeutig mit wirtschaftlichen Erfolg verknüpft ist, ist für die Konsumierenden nicht bedingt ein wünschenswertes Ergebnis. Abends mehr Zeit mit binge-watching zu verbringen, bedeutet u.U. weniger Zeit für andere wichtige Tätigkeiten. Häufig leidet auch die Schlafqualität darunter, wenn man wieder bis tief in die Nacht die neue Staffel der Lieblingsserie schaut.
Doch warum finden wir uns dennoch immer wieder in solchen Situationen wieder? Warum ist binge-watching ein Ding?
Eine Antwort auf diese Frage kann die Betrachtung der User Journey liefern. Netflix bedient sich hierbei einer Vielzahl subtiler Design Patterns, die es Nutzenden immer leichter macht, mit weniger Intention konsumieren zu können. Bereits in der Erkundungsphase werden wir durch personalisierten Empfehlungen und Thumbnails dazu verleitet einen Serie oder einen Film anzusehen. Für viele Konsumierende ist dieser Punkt auch noch wünschenswert. Wer möchte denn nicht möglichst schnell eine Serie finden, die dazu noch einfach gut ist? Fair enough.Sobald wir allerdings einen Titel ansehen, fallen weitere Design Entscheidungen auf.
Automatischer Vollbildmodus und Überspringen der Intros lassen die zeitlichen Grenzen zwischen mehreren Folgen immer mehr verschwimmen und machen aus mehreren Einzelerlebnissen ein immersives Gesamterlebnis. Diese Veränderung wird durch die automatische Wiedergabe der nächsten Folge nach nur 5 Sekunden weiter bestärkt. Denn obwohl hier den Zuschauenden eine Option vorliegt, ist die Bedenkzeit so gering gewählt, dass es schwierig wird eine reflektierte Entscheidung zu treffen. Und so werden wir in die nächste Folge hineingesogen und schauen Folge um Folge um Folge. Die Grenzen einzelner Erlebnisse sind aufgehoben und ein natürliches Ende gibt es erst am Ende einer Staffel oder sogar Serie. Wer nicht bewusst konsumiert, findet sich leicht um 2 Uhr nachts beim Binge-Watching wieder.
Bottom-Line: Für Netflix ist die “Zeit, die ein/e Nutzer:in streamt” wünschenswert, für uns Konsumierende häufig nicht. Und dennoch ist der beliebte Service so gestaltet, uns an der Strippe zu halten. Auch wenn hier nicht die typischen Dark Patterns bedient werden, findet die obige Definition in den Designentscheidungen Anwendung – allerdings eher subtiler Natur.
Die Verwendung von Dark Patterns kann kurzfristig zu unmittelbaren Vorteilen für Unternehmen führen, wie z.B. höhere “Conversion”, verbessertes “Engagement” oder mehr “User Sign-Ups”. Diese Taktiken können ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen oder Benutzer dazu manipulieren, Maßnahmen zu ergreifen, die dem Unternehmen zugutekommen. Jedoch kann der Einsatz von Dark Patterns langfristig schädliche Auswirkungen auf die Kundenbeziehungen haben. Wenn Benutzer sich getäuscht oder manipuliert fühlen, schwindet das Vertrauen in das Unternehmen und in seine Produkte oder Dienstleistungen. Dies kann zu negativer Mundpropaganda, geringerer Kundentreue und sogar rechtlichen Konsequenzen führen. Kunden, die Dark Patterns ausgesetzt waren, fühlen sich häufig frustriert, ausgenutzt oder übervorteilt. Sie können eine negative Wahrnehmung der Marke entwickeln und weniger geneigt sein, sich auf zukünftige Angebote einzulassen oder das Unternehmen anderen zu empfehlen. Dies kann den Ruf des Unternehmens schädigen und langfristiges Wachstum und Nachhaltigkeit behindern.
Auf der anderen Seite bauen Unternehmen, die ethische Designpraktiken priorisieren und die Autonomie der Benutzer respektieren, Vertrauen auf und fördern positive Kundenbeziehungen. Indem sie transparente und benutzerzentrierte Erfahrungen bieten, können Unternehmen langfristige Beziehungen aufbauen, die auf Vertrauen, Loyalität und Kundenzufriedenheit basieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dark Patterns zwar kurzfristige Vorteile bringen können, jedoch erhebliche negative Auswirkungen auf die Kundenbeziehungen haben können. Die Priorisierung ethischer Designprinzipien und die Achtung der Rechte der Benutzer sind entscheidend für den Aufbau und die Aufrechterhaltung positiver und nachhaltiger Kundenbeziehungen.
Neben dem unmittelbaren Effekt auf das Kundenverhältnis kann die Nutzung von Dark Patterns ebenfalls strafrechtliche Folgen haben. Diese kommen weniger häufig vor, stellen jedoch aus unternehmerischer Sicht ebenfalls ein zu berücksichtigendes Risiko dar. Vergangene Fälle zeigen hierbei die mögliche Tragweite der Konsequenzen.
Die Federal Trade Commission (FTC) hat eine Beschwerde gegen Epic Games eingereicht, weil sie gegen das “Gesetz zum Schutz der Privatsphäre von Kindern im Internet” (COPPA) verstoßen haben. Epic Games hat es den Nutzern schwer gemacht, unbefugte Ausgaben in Fortnite zu stornieren oder Rückerstattungen zu erhalten. Anfangs konnten Nutzer keine Gebühren stornieren, aber ab Juni 2019 führte Epic eine zeitlich begrenzte Option ein, um Kosmetikgebühren zu stornieren. Allerdings beschwerten sich die Nutzende, dass Epic Games unter Einsatz von Dark Patterns vor Stornierungen und Rückerstattungen abschreckte. Epic hat auch einen komplizierten Rückerstattungsprozess geschaffen, bei dem der Link unter dem Tab "Einstellungen" versteckt ist und unnötige Schritte erfordert. Der Einsatz dieser Design Praktiken hat Bedenken hinsichtlich der Kundenrückerstattungen und der Transparenz von Epic Games aufkommen lassen.
Im Rahmen der Einigung hat Epic Games zugestimmt, eine Geldstrafe in Höhe von 245 Millionen US-Dollar zu zahlen und Betroffenen ihre Kosten zu erstatten.
TikTok hat gegen Artikel 82 des französischen Datenschutzgesetzes verstoßen, indem es ein Cookie-Banner verwendet hat, welches nicht ausreichend Informationen und Optionen bereitstellte um eine informierte Entschiedung zu treffen. Die französische Datenschutzbehörde hat Dark Patterns im Cookie-Banner festgestellt, wie beispielsweise “Roach Motel”, “Forced Action” und versteckte Informationen. Benutzer konnten alle Cookies mit einem einzigen Klick akzeptieren, während bestimmte Werbe-Cookies ohne Zustimmung gesetzt wurden. TikTok’s Cookie Banner hat gegen die Auflagen der DPA verstoßen, indem sie keine klaren und vollständigen Informationen für Benutzende bereitstellten. Die Strafe belieft sich für TikTok auf insgesamt 5,000,000€.
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Bewusstsein bei sich selbst und im Unternehmen dafür schaffen, wie ethische Design Entscheidungen getroffen werden können. Dabei ist vor allem das Schaffen von Bewusstsein und Diskurs wichtig, wodurch letztlich eine Selbstreflektion bei den eigenen Design-Entscheidungen ermöglicht wird.
Zu jedem Zeitpunkt darauf achten, dass Nutzende an unterschiedlichen Punkten der User-Journey eigenständige Entscheidungen treffen können, ohne dass Sie in eine spezifische Richtung gedrängt werden.
Was in der Denkweise der nutzerzentrierten Gestaltung bereits stark verankert ist, hilft auch in diesem Fall weiter: Der Fokus auf ein wünschenswertes Ergebnis (Outcome) für die Nutzenden, anstatt betriebswirtschaftliche Metriken. Dadurch entsteht, fast schon in natürlicher Weise, die Diskussion über den Einfluss unserer Designentscheidungen auf das Leben der Nutzenden.
Ob es nun ethische Prinzipien sind, nach denen man handelt oder ob es regelmäßige Diskussionen sind, die man im Team führt. Am Ende ist es egal wie man sich diesem Thema nähert, so lange es klar ist, dass unsere Entscheidungen als Designer unmittelbaren Einfluss auf das Leben anderer Menschen haben werden. In diesem Sinne lasst uns sie so menschlich wie möglich gestalten.
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Clemens ist seit Anfang 2023 UX Designer bei DAYONE. Mit seiner langjährigen Erfahrung in verschiedensten Agenturen sowohl im Produktdesign als auch in der Produktentwicklung unterstützt er tatkräftig unseren Kunden KIND im B2C-Bereich.Als UX Designer legt er großen Wert auf ethische Grundsätze. Für ihn steht die Verantwortung gegenüber den Nutzer:innen an erster Stelle. Er ist fest davon überzeugt, dass Produkte nicht nur funktional sein sollten, sondern auch ethisch einwandfrei gestaltet werden müssen.
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